Home - Academics - Departments and Programs - German - The Colgate Freiburg Study Group
The Colgate Freiburg Study Group

NEWS

Länger werdende Tage im germanischen Europa

By Matthew Miller on May 25, 2014

(Früher hätte ich mit ironischem Nachdruck den sommerlichen Abendhimmel Europas preußisch blau genannt. Langsam wird er zeitweilig badischer.)

Der Kaiserstuhlpfad          Der Kaiserstuhlpfad, Blick nach Osten

Zu den attraktivsten Facetten des Freiburger Lebens gehören auch für meine Begriffe (siehe unten „Wandern im Schwarzwald“) die Naherholungsmöglichkeiten im Umland. Nicht nur grenzt der von diesem FSG Direktor bewohnten Viertel an den Sternwald und damit schon den Beginn des sogenannten Hochschwarzwalds. Zu den vielen einladenden Wanderwegen in die weitere Region gelangt man leicht mittels der verkehrstechnisch gut ausgebauten Infrastruktur. Besonders empfehlenswert in diesem Freiburger Frühsommer ist der Kaiserstuhlpfad, den ich letztens bewandert bin. Der vom hübschen Endingen bis nach Ihringen präzis ausgeschilderte Weg führt abwechslungsreich durch frischen Mischwald und reizende Weinberge über die Höhen–inklusive der Katharinenkapelle, Eichelspitze, und Neulinden–dieser Sonderlandschaft vulkanischen Ursprungs. (Man müsste in geologischen Zeitschichten denken können.) Die größte körperliche Anstrengung erlebt man beim ersten Anstieg. Danach gestaltet sich das Gehen wesentlich angenehmer.

Endingen am Kaiserstuhl Im Garten der Katharinenkapelle Erste Lichtung auf der Höhe des Stuhls

Was für ein wundersames Wandern durch die Kulturnaturlandschaft! Gibt es etwas Besseres für eine der Waldeinsamkeit sich erfreuende Seele? Wenn nicht schon ganz zweckfrei, so doch wenigstens eine den Gedanken entkrampfende Zerstreuung der akademischen Arbeitswoche. Lediglich auf Grund eines freieren nicht zwischen Emails, Terminen, und zweckorientierten Aufgaben eingezwängten Denkens sollte man sich überhaupt in die beabsichtigte Schreibtätigkeit des Wochenanfangs zurück begeben.

Weinberge am Kaiserstuhl     Vogesen (F)

Unerwartet interessant waren weniger die wunderschönen Perspektiven auf die klein terrassierten Weinberge, die zu den üblichen Hängen (etwa des Markgräflerlandes oder gar des bei der Bildungsreise besuchten Kalterns) einen gewissen Unterschied aufweisen, und die am Horizont emporsteigenden Vogesen. Auf dem Weg nach Ihringen runter verschlingen einen verlockend die aus der Eiszeit stammenden Lösshohlwege.

Auf den Lösshohlwegen II     Auf den Lösshohlwegen     Natur und Gestell

Das sind aber keine Holzwege, müssten wir mit sanftem Seitenhieb nach Meßkirch melden. Auf solchen hatte sich der Schwarzwaldphilosoph nämlich geirrwegt. Um jener Gefahr vorzubeugen, haben wir Kartographie und eigene Anschauung, die den Ortschaften keine Gewalt antun. Selbstverständlich bleibt die technische Moderne anwesend, hier etwa in der Gestalt des Funkturms im Hintergrund. Von Madison County in New York bis zum Breisgau ließe es sich fragen, inwiefern beispielsweise Windkraftwerke ein Inbegriff moderner Schönheit sind. Um sich genauer mit dem Thema Naturverhältnis in der Moderne auseinanderzusetzen sei auf eine einschlägige Lektüre dazu hier verwiesen.

Hohlwege und Wegweiser

Ach neee, zur eigenen Sicherheit entdeckt man nähere Anzeichen eines Wegs, worauf nach 230 Jahren (wenn man ein kleines rundes Jubiläum hier vermerken darf) das 21. Jahrhundert auf eigene Gefahr verzichtet. (Der bei der Reproduktion wenig leserlich gewordene Aufklebertext unter dem Schild lautet: Habe Mut, dich deines eigenen Verstands zu bedienen.)

Auf allen Wegen rüstet man sich am besten mit einem Holzwanderstock aus, damit beim Gehen auf drei Beinen die zwei leibeignen nicht so schnell ermüden. So kommt man in Schwung auf den 22 Kilometern des Pfads. An dessen Ende gelangt man schließlich ins Ihringen. „Wo ist hier das Ortszentrum?“ Man wird von der Frau im „Eiscafé“ freundlich ausgelacht. „Haben Sie etwas anderes erwartet?“ Aber es gibt sie natürlich, die badischen Lokale. Da das bürgerliche Holzöfele, vielleicht wegen eines auf der Speisekarte viel versprechenden Ochsengericht an diesem wetterklaren Tag ausgebucht ist, findet man in den wegen seines eher bäuerlichen Ambiente diesem Wandernden sowieso annehmlicheren Hirschen ein, wo ein aus der unmittelbaren Gegend ausgelesener Grauburgunder zu einem Ochsenmaulsalat mit Brägele gesellt und wohl verträgt. Je regionaler man isst und trinkt, desto besser schmeckt es. Punkt.

Holzöfele in Ihringen     Hirschen, Ihringen

Zur badischen Burgunderfamilie müsste man auch Poet werden und ein Gedicht darauf einstimmen: Der in Deutschland und vielleicht auch insgesamt nicht besonders geachtete Grauburgunder kommt hierzulande doch zu seinem Recht. Ausgebaut und für Weißweinverhältnisse beeindruckend kraftvoll strukturiert ist der Grauburgunder ein Tick weniger bekömmlich als der Markgräflerische Gutedel und der den Riesling beizeiten stürzende Weißburgunder. An diesem hervorragenden Exponat der Rebe ist die Säure richtig, d.h. präsent, aber verhalten. Leichte Noten im ganz eigens wuchtigen Bukett von Zitrusfrüchten, Äpfel, und Gras lassen sich feststellen. So begleitet er auch harmonisch die Nachwanderungsspeise.

Die Traube und die Zivilisation

Würde das Gedicht auf den badischen Wein sich Richtung Prosa oder gar Essay ausufern lassen, ginge es über die “zivilisierenden” Auswirkungen Europas ureigensten Weinregionen. Das sei auch gegen alle Biertrinkerei gerichtet (von den krankhaft instrumentalisierten Trinkzwängen einer gewissen Broad Street ganz zu schweigen). Vermag die Burgundertraube mit seinem Widerpart (auch im übertragenen Sinne) sich zu messen? Sie ist sanft und fragil, verlangt viel Zuwendung und ein passendes Klima, welches man auf diesen stillen Mittelhöhen findet. (Ausgang jenes Widerparts käme wie bei so vielen Streiten auf die Frage des geltenden Maßstabes an.)

Zweifelsohne gehört Baden zu jenen Regionen. Eigentlich ist es kaum Schade, dass man sonst wo, außerhalb Badens—sei es wegen der Produktionsmengen, sei es wegen der Tatsache, dass diese Mengen vor Ort von den Einheimischen liebevoll verzehrt werden—den hier produzierten Wein seltener findet. Am Anfang ist die Rebsortenvielfalt beinahe verblüffend. Vor Ort lernt man sie allmählich im Zusammenhang der an den vielen Märkten Freiburgs einzukaufende Lebensmittel unterscheiden und schätzen. Angesichts der sogenannten Globalisierung bzw. des sich fast zwangsläufig einsetzenden Geschwätzes von ihr muss es doch Orte geben, an denen wie hier, trotz der umliegenden Konsumgeilheit westeuropäischer Provenienz,  noch nicht alles verwertet ist. Orte, die man mit dem eigenen Körper in singuläre Erfahrung zu bringen vermöge. Als Gesamtphänomen läge solch ein Tag Zeugnis von einer örtlich verankerten Einzigartigkeit ab und verzeichnete den Niederschlag eines sich bewährenden, wenn auch eigensinnigen Genusses, bei dem der Arbeitsprozess nicht angesichts des Resultats aus den Augen des Konsumierenden (sofern er nicht selber in diesen Prozess hinein kann) verloren werden müsste. Solche Erkundungen des Irreduziblen sind kleine Inseln auf Leben und Tod, Lücken, in denen Humanität sich kurz aufhalten kann. Möge sie länger dort verweilen können, und bei keinem Ausschluss anderer.

Ihringen, Bachenstraße

[Sinnentzug] Die Kategorie, daß etwas einen Sinn hat. Es muß Ausgang und Rückkehr vorgestellt sein, damit etwas einen Sinn hat. Es muß etwas an sich und zugleich für mich eine zusammenhängende Bewegung ergeben, damit ich sagen kann: Das hat einen Sinn. Dieses Für mich ist jedoch in die Konstruktion der gesellschaftlichen Maschine nicht eingefügt.” – aus N/Ks Geschichte und Eigensinn

(Für J.S., M.H., und die Nachgeborenen)


Leave a comment

Comments: Please make sure you keep your feedback thoughtful, on-topic and respectful. Offensive language, personal attacks, or irrelevant comments may be deleted. Responsibility for comments lies with each individual user, not with Colgate University. Comments will not appear immediately. We appreciate your patience.