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The Colgate Freiburg Study Group

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Ein anglo-us-amerikanischer Brauch im kulturellen Transfer: Graduierung auf Deutsch

By Matthew Miller on June 22, 2014

Anlässlich der Graduierung von Absolventinnen und Absolventen des Englischen Seminars an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg, wurde ich gebeten, eine Rede bei der Graduierungsfeier in Juni 2014 zu halten. Da hat das Englische Seminar in der Tat etwas Besonders organisiert, denn solche Feiern sind eher im anglo-us-amerikanischen als im deutschsprachigen Kulturraum üblich. Wie wird die Rede aufgenommen? Es folgt deren Text, der mit einigen Reflexionen über die transkulturelle Arbeit im globalen Zeitalter des 21. Jahrhunderts gespeist ist.

 

Guten Tag meine Damen und Herren, liebe Absolventinnen und Absolventen, lieber Geschäftsführender akademischer Direktor Herr Fehlner, liebe Gäste, es ist mir eine Ehre, ein paar Worte zum Anlass der heutigen Graduierungsfeier der Freiburger Anglisten sagen zu dürfen. Vorweg ein kleines Eingeständnis: Als US-Amerikaner habe ich mich oft in der Vergangenheit von solchen Veranstaltungen distanziert und trage deshalb heute keinen eigenen Talar, den ich trotz Promotion in der Germanistik an der Columbia University in New York City nicht besitze. In den USA werden solche Feier von der ganzen Universität zwar sehr ernst genommen: Nicht nur kommen alle zusammen, um den Absolventinnen und Absolventen für das Geleistete Anerkennung zu zollen. Auch alle Fakultäts- und sogar Verwaltungsmitglieder versammeln sich zur Feier der jeweiligen Hochschule und zum kurzen Kennenlernen der Familienangehörigen beim anschließenden Empfang. Weshalb sollte dann eine solche feierliche Veranstaltung eher mit Vorsicht zu genießen sein? Oft konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass solche Feiern einer Inszenierung dienen, deren Bezug ich befremdlicherweise nie ganz ergründen konnte, so sehr dominiert dort die feierliche Form den eigentlichen Inhalt. In einem Hochschulsystem, das in den USA zunehmend von einer sowohl die Freiheit von Lehre und Forschung beeinträchtigenden, als auch den Zugang dazu erschwerenden Privatfinanzierung geplagt wird, sollte es vielleicht nicht überraschen, dass die Beteuerung des Gebrauchswertes eines Hochschulabschlusses dessen Tauschwert in der öffentlichen Darstellung zum Opfer fällt. Zum Glück ist der Kontext hier ein anderer. Dadurch dürfte dem Brauch gerade im kulturellen—hier transatlantischen—Transfer eine frische Bedeutung zugemessen werden, zumal nicht nur die entwurzelnde Übernahme einer solchen Tradition schon eine kleine Gelegenheit zur Reflexion des Brauches bietet, sondern auch, was ich beeindruckend finde, weil das Englische Seminar hier in Freiburg eine in der deutschen Universitätslandschaft ziemlich einmalige Veranstaltung organisiert, was die feierliche Atmosphäre einer Graduiertenfeier schaffen sollte und für die Besonderheit dieses Seminars spricht. An dieser Stelle wäre nicht nur die unermüdliche Arbeit von Herrn Fehlner als Geschäftsführender akademischer Direktor und Frau Sissy Bräuer als wissenschaftliche Hilfskraft am Englischen Seminar zu erwähnen, sondern auch das organisatorische Engagement der Fachschaftsmitglieder, ohne welche die heutige Veranstaltung gar nicht möglich wäre, und die einen besondern Dank verdient.

Es ist in Angelegenheit des kulturellen Transfers, dass ich mich zur Zeit überhaupt und zum ersten Mal in Freiburg befinde. Denn ich betreue eine Gruppe von 12 ausländischen Studenten, die ansonsten im Bundesstaat New York studieren und jetzt ein Auslandssemester an der Albert-Ludwigs-Universität genießen. Sie tun dies im Rahmen der sogenannten Colgater Studygruppe, die auf einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen der Colgate University, der Universität Freiburg und dem Englischen Seminar hier basiert. Der Name meines Arbeitgebers trügt: Weder hat er mit Zahnpaste zu tun, noch ist Colgate eine Universität, die höhere Abschlüsse verleiht, sondern ein liberal arts college im us-amerikanischen Sinne. Bei unserer bereichernden Verbindung mit Freiburg sind wir nicht nur auf das International Office der Universität für die umfangreiche Betreuung des Immatrikulationsprozesses angewiesen, ohne die wir die Studentengruppe nicht so schnell zum jeweiligen Sommersemester unterbringen könnten. Heute möchte ich die vorbildliche Mitarbeit des Englischen Seminars würdigen und mich zunächst wieder ausdrücklich bei Herrn Fehlner für seine außerordentliche Unterstützung der Studygruppe bedanken. Auch Frau Sissy Bräuer, insbesondere für ihre sichere Hand und Beratung der Studygruppenteilnehmer, sei hier für ihren enormen Einsatz gedankt. Den aus New York kommenden Studierenden kam und kommt weiterhin die freundliche Mitarbeit zahlreicher Tutorinnen und Tutoren zugute, von denen viele aus dem Englischen Seminar ja kommen und die den Gaststudenten bei der Überwindung sprachlicher und sonstiger kulturellen Barrieren helfen. Aus dieser Tutorengruppe sind auch mehrere Praktikantinnen und Praktikanten nach Colgate gelangt, um dort in Hamilton, New York ein Jahrlang in unserem kleinen German Programm auszuhelfen.

Ich erwähne dies alles nicht nur um den Beteiligten zu danken, sondern auch gerade weil solche internationale Zusammenarbeit auf universitärer Ebene ein Dreh- und Angelpunkt der zu gestaltenden Globalisierung wäre. Ich sage absichtlich wäre angesichts der Tatsache, dass die Realität dieses in aller Munde geführten Schlagwortes des neuen Jahrhunderts in der Regel entweder als ein undurchsichtiges Phänomen der Finanzmärkte erscheint oder eben von immer neuen regressiven Gewaltausbrüchen am Rande Europas und darüber hinaus begleitet wird. Der Anschein dieser Einteilung von Globalisierung als ein im Wesen wirtschaftlicher Prozess, der kulturelle Reaktionen in der Form verhärteter Fronten ethnischer oder religiöser Identitätskonstruktionen hervorbringt, verlangt begriffliche Präzisierung des Schlagwortes, zumal die Wahrnehmung von Globalisierungseffekten zwischen ökonomischen und kulturellen Auffassungen schwankt. So sehr diese Aspekte voneinander zu unterscheiden sind, so sehr hängen sie auch zusammen. Ich gehe davon aus, dass für Sie als Absolventinnen und Absolventen des Englischen Seminars eine kleine Außenperspektive auf den Wert transnationaler und transkultureller Studien in diesem Zusammenhang von Interesse sein könnte. Deswegen erlaube ich mir, das eben Angesprochene stichwortartig ein klein wenig zu entwickeln anhand von ein paar Beispielen aus der eigenen Arbeit mit der Studygruppe, die ich hier leite, in der Hoffnung, dass sich etwas davon übertragen lässt, vor allem für diejenigen unter Ihnen, die in der Zukunft im Bildungswesen tätig sein werden. Gerne können wir das beim anschließenden Empfang  weiter diskutieren, wenn Sie dazu Lust haben.

1. Punkt: Globalisierung ist eine Tatsache, die im besonderen Masse transkultureller Kompetenzen herausfordert. Inter- und transkulturelle Erfahrungen dürften Ihnen als Bewohner des sprachlich und kulturell vielfältigen europäischen Kontinents auch ohne die jüngste Phase der Globalisierung, die seit dem Ende des kalten Kriegs sich eingesetzt hat, längst vertraut sein. Inzwischen vermehren sich Austausche aller Erdbewohner überall zunehmend. Beispielsweise handelt es bei unserer Studygruppe keineswegs nur um einen bilateralen deutsch-us-amerikanischen Austausch. Die Colgater Gruppe ist vielfältiger: Sie besteht aus fünf Nicht-US-Amerikanern, drei Studenten mit doppelter Staatsangehörigkeit, und vier US-Amerikanern. Globalisierung in unserem Fall heißt, dass von den zwölf Teilnehmern sechs verschiedene Länder, inkl. China, Kenia, Japan, und Brasilien vertreten werden. Oft haben es einige der Studeriende, die auch in den USA als „ausländisch“ gelten, leichter, sich „in der Freiburger Fremde“ zu orientieren, zumal sie bereits Auslandserfahrung sammeln konnten, was zu einem differenzierteren Erwartungshorizont beiträgt. Einige der US-Amerikaner haben es vielleicht auf Grund des misslichen Verhältnisses ihres Heimatlandes zur Außenwelt da schwieriger.

2. Das bringt mich schon auf den zweiten Punkt: Bei der Globalisierung handelt es sich um erheblich asymmetrische Verhältnisse verschiedener Art. Nicht nur wäre das Phänomen extremer ökonomischen Ungleichheiten zu erwähnen, sondern auch Formen kultureller Asymmetrie, die Ihnen als students of English and North American Studies vertraut sein dürften. Was die USA anbetrifft: Obwohl die Staaten sich prinzipiell als Einwanderungsland verstehen und während das Land sich bei der gewaltsamen Verteidigung der eigenen Interesse in der ganzen Welt in Konflikte verstrickt, erscheint die Mentalität vieler meiner Mitbürger erstaunlich—manchmal verheerend—eng, nationalistisch, oder sonst wie selbstgenügsam oder gar selbstgerecht. Daher auch die Asymmetrie, auf Grund derer sich jeder Erdbewohner etwas mehr unter den USA sich vorstellen kann, als der US-Amerikaner über ihn, seine Existenz, oder sein Land. Das dürfte sowohl mit Bildungs- und anderen Defiziten seitens der US-Amerikaner als auch mit der andauernden globalen Vormachtstellung anglo-us-amerikanischer Kultur, die teilweise auf ökonomische Vormachtstellung aufgebaut wurde, zu tun haben. Wie geht man mit solchen Asymmetrien um? Mich würde es interessieren, wie Sie damit umgehen oder umgehen würden. Prinzipiell ist ja unsere Studygruppe dem Abbau solcher Asymmetrie gewidmet, was manchmal eine leichte und erfreuliche, manchmal eine schwere, aber sich lohnende Herausforderung ist.

3. Punkt: Progressiv transkulturelle Arbeit wird von fragwürdigen, dennoch gängigen und dominanten Repräsentationsmechanismen erschwert. Zum Anfang ihres Aufenthalts hier begleitete ich die Studentengruppe auf einer sogenannten Bildungsreise durch das deutschsprachige Europa. Der Zweck davon war wenigstens zweierlei: Nicht nur sollten die Teilnehmer vor dem Beginn des Sommersemesters Zeit haben, sich sprachlich und praktisch zu orientieren. Ich versuchte auch Weichen für möglichst unvoreingenommene Begegnungen mit den Menschen und Kulturen vor Ort zu stellen. In diesem Zusammenhang haben wir uns mit einem gewissen metonymischen Verhängnis des Touristendaseins auseinandergesetzt, welches zu dekonstruieren uns als Bildungsgruppe natürlich oblag. Besagtes metonymisches Verhängnis besteht darin, in der Erfahrung mit einer anderen Kultur, Nation, oder Region diese ungebührlich auf einzelne Zeichen zu reduzieren, die für das Ganze irgendwie stehen sollten. Das Phänomen müsste auch denjenigen von Ihnen vertraut sein, die die Fußballweltmeisterschaft verfolgen, bei der ja noch immer zwei in einem Sportspiel sich gegenüberstehende Mannschaften vermeintliche nationale Eigenschaften vertreten sollten, auch wenn eine derartige Zuschreibung der postmigrantischen Ausstattung dieser Mannschaften keinerlei Rechnung tragen kann. Wie dem auch sei: In unserer Lektüreauswahl setzte sich ein us-amerikanischer Deutschlandreisender mit seinen Erfahrungen hierzulande auseinander. In einem Aufsatz namens „The Peculiarities of German Travel“ stellte Richard Gorra Fragen, die den Deutschen hier ein bisschen befremdlich erscheinen müssten, wie zum Beispiel: Wie könnte man als Außenseiter sein Vergnügen am deutschen Alltagsleben angesichts des Grauens in der deutschen Geschichte rechtfertigen? Was da noch anklingt ist die in den USA immer noch vorkommende metonymische Reduzierung des Deutschen auf das Nationalsozialistische. Bei Versuchen, die ganz verschiedenen Eindrücke seines Deutschlandsaufenthaltes in Einklang miteinander zu bringen, fragte sich Gorra ferner, ob es überhaupt angehe, die Erscheinungen einer bestimmten Kultur in ein kohärentes Bild zu fassen. Der Anspruch ist bei aller Betonung der Gemeinsamkeiten eines jedweden Kulturgebildes zu bestreiten, nicht nur weil die vom Autor angeführten Beispiele metonymischer Reduzierung absurd klingen und der Lächerlichkeit preisgegeben werden: Etwa „Bayern ist eine Weißwurst“, nach welcher Logik Baden ungefähr eine Schwarzwälder Kirschtorte sein müsste. Sondern auch, weil das Nichtidentische einer jedweden Kultur sich grundsätzlich nicht restlos in kohärente Bilder fassen lässt. Hüten Sie sich daher vor den falschen metonymischen Reduzierungen! Solche zirkulierende Zeichen kommen höchstens dem Primat des Ökonomischen und damit einhergehenden Konsumhaltungen zugute. Die eigentlichen Berührungspunkte zwischen den Kulturen, des einen Menschen mit dem anderen, bergen andere Schätze. Als humanistisch ausgebildete Weltlesende und Weltdeutende—auf Deutsch: Geisteswissenschaftler—sind Sie—wir—dabei in der Lage, einer interessanteren Aufgabe nachzugehen, zu der uns Konzepte und Methoden transnationaler und transkultureller Studien verhelfen, zumal diese überhaupt kulturell verankerten Wertvorstellungen zum Thema machen, analysieren, deuten und vielleicht auch neu verhandeln können. Damit komme ich zum

4. Punkt: Bei der Arbeit an den Schnittstellen unserer vernetzten Realität ist die Auseinandersetzung mit der Kultur interessanter und vielversprechender als das scheinglobalisierte Konsumentendasein, das eher verengt, als erweitert. Egal ob Ihr Verständnis von Kultur von Raymond Williams oder Theodor W. Adorno stammt, sie ist das von der Ökonomie relativ verselbständigte Feld, an dem die Menschen sich nach wie vor orientieren. Auf Gedeih oder Verderb geht die Kultur—damit meine ich die vielfältige Widerständigkeit des schaffenden Geistes—letztendlich weder hier, noch in Ostasien, noch in Nordamerika im Ökonomischen unter, was besagt, dass Globalisierung auch ein unreduzierbares kulturelles und mehrsprachiges Phänomen ist, das gelesen und gedeutet werden muss, um zwischenmenschlich überhaupt gestaltet werden zu können. Bekanntlich wollen die Ökonomen ja ihre Kultur durchsetzen. Ihnen sollte bei allem Realismus keinerlei Deutungshoheit eingeräumt werden. Die Tatsache der vielfältigen kulturellen Dimensionen der Globalisierungsgeschichte verweist auf unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten. Mit Hilfe der im Studium erworbenen Fähigkeiten von Differenzierung und Unterscheidungsvermögen können Sie diese kritisch und selbstkritisch untersuchen. Gehen Sie von nun an interpretativ und wertend zu Werke und setzen Sie dabei tragfähige Deutungen in diese Welt, die Sie verantworten können, denn:

5. Punkt: Die fortdauernde Signifikanz kultureller Deutungsarbeit stammt auch von der Tatsache, dass bei aller Globalisierung die Welt nicht einheitlicher wird. Die mangelnde Vereinheitlichung ist aber von Vorteil: Dem Anschein einer zusammenwachsenden Welt unter dem Zeichen einer singulären Produktionsweise zu Trotz gibt es Unterschiede, die auf verschiedene Werte und Gesellschaftsmodelle verweisen. An dieser Stelle kommt Ihnen als students of English and North American Studies meines Erachtens eine besondere Verantwortung zu. Wieso? Ich nehme jetzt die naheliegenden Beispiele von Großbritannien und den USA: Weder das eine noch das andere Land ist je hinreichend zum eigens angerichteten Unheil in der Welt zur Verantwortung gezogen oder zur Auseinandersetzung gezwungen worden. Während sie ihre Vormachtstellung weiter ausbauen, bürgt nichts für die Nachhaltigkeit ihrer Gesellschaftsmodelle. Im Gegenteil weisen insbesondere im Fall der USA die strukturell bedingt sich ausweitende Ungleichheit, die Gewaltbereitschaft der Bürger des mit Konflikten belasteten Landes, und die mangelnde Fähigkeit, sich hinreichend mit solchen Themen öffentlich auseinanderzusetzen kaum auf Zukunft. Für die dringend benötigte Selbstbesinnung sind wir nicht nur selbst verantwortlich, sondern auch auf einen Dialog mit der Außenwelt, zugespitzt formuliert, auf die Führungsfähigkeiten selbstkritischer Europäerinnen und Europäer angewiesen. Gerade in Europa dürften viele US-Amerikaner, die bislang von der Außenwelt wenig zur Kenntnis nahmen, in Bezug auf ihr Gesamtverhalten in der Welt überhaupt eines Besseren belehrt werden, wahrscheinlich deswegen—damit kein Anschein eines Vorteils hier entsteht—weil die Geschichte hier in deutschen Landen so unvorstellbar katastrophal abgelaufen ist. Da musste man hier notgedrungen eines Bessern belehrt werden. Ich will mit solchen Aussagen nichts Autoritäres befürworten: Das Lernen ist in beiden Fällen ein langwieriger Prozess, der aber prinzipiell in demokratische Mündigkeit gipfeln kann. Insofern wäre hier Aufarbeitung der Vergangenheit samt dem damit einhergehenden Demokratisierungspotenzial, welches in den USA durch verschiedene Faktoren seit längerem verschüttet wird, eine aufschlussreiche Lektion im kulturellen Rücktransfer. Während dieser Austausch immer soziokulturell bedingt sein wird, ginge der Dialog nicht als Frontalangriff am besten vonstatten, sondern ist über ein Drittes zu vermitteln, sprich über die Auseinandersetzung mit Werken des kreativen Schaffens: Kunst, Literatur, Theater, Musik, Film. Denn idealerweise versammeln sich hier Menschen unter der Neutralisierung vorgefasster Wertvorstellungen und Erwartungen, um sich die Augen öffnen zu lassen. Gerade im transkulturellen Deutungsverfahren von Textfiktionen, die die Welt spielerisch erschließen, können Differenzen geklärt, hinterfragt, und neu ausgehandelt werden. Dass derlei sich auch innerhalb der eigenen Landesgrenzen übertragen lassen muss, versteht sich hoffentlich von selbst, denn in diesem Deutschland, dessen regionale Identitäten auf ganz europäische Art immer stärker ausgeprägt zu sein schienen, als die erzwungene nationale Identität, in diesem Deutschland, dessen Einheit seit je eher unwahrscheinlich war, heute höchstens offiziell und vielleicht zeitweilig bei der WM existiert, in diesem Deutschland, das überhaupt im Zeitalter der Migration ein zunehmend transkulturelles Gefüge bildet, hier macht sich ja auch—was ich persönlich erfrischend und anregend finde—eine abermalige Phase transkultureller Verständigungsprozesse auf, die mit Fingerspitzengefühl und Unterscheidungsvermögen angegangen werden müsste.

Jeder solchen Gelegenheit wohnt ein kleines Potenzial kritischer Selbstbesinnung inne, die durch Dialog zu Tage gefördert und vorangetrieben werden kann. Nicht nur lagern unausgeschöpfte unterschwellig kritische und selbstkritische Tendenzen in den hier fast preisgegebenen Ländern, die gestärkt werden müssten und an die anzuknüpfen wäre. Als Letztes verweise ich doch noch auf die manchmal unbeholfen erscheinenden Colgater Studierenden: Einige von ihnen beginnen überhaupt erst während ihres Aufenthalts zum Auslandssemester hier in Freiburg, über das eigene Land, den eigenen Nationalismus, und die Bedingtheit der eigenen Perspektive nachzudenken, wobei ich die prinzipielle Fähigkeit zur kritischen und selbstkritischen Auseinandersetzung trotz aller Schwierigkeiten beobachte. Die eigene Beteiligung an solchen und ähnlichen Prozessen obliegt uns allen, egal in welchem Kontext wir uns befinden mögen. Man braucht auch das entsprechende Klima und die geeignete Öffentlichkeit. Ein möglichst reger Austausch bereichert alle, sowohl inner- als auch transkulturell. Weder steht im Lebenslauf das eigene Selbstverständnis noch in der Geschichte das Gesellschaftsmodell endgültig fest. Die Quellen deren Erneuerungen und Deplazierungen sind diffus. Derzeit wäre gerade bei der Umsetzung der Studien in das, was die US-Amerikaner „real life“ nennen, an der inhaltlichen Bereicherung durch die Auseinandersetzung mit kreativer, sich gegen den Strom stellenden Kultur festzuhalten, nicht um der Kultur als Selbstzweck willen, sondern um die beständige Herausforderung an sich selbst und den Mitmenschen jetzt und in der Zukunft umsetzen zu können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und herzlichen Glückwunsch zum erfolgreichen Studienabschluss!

 

 


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